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SEHNSUCHT NACH EINEM QUEEREN HAPPY END

Veröffentlicht in: Stimme #127/2023

 

 

 

 

1992 kam ich auf die Welt. Mit acht oder neun Jahren saß ich im Wohnzimmer neben meiner Mutter und meiner Schwester: Ich sah das erste Mal die ROCKY HORROR PICUTRE SHOW auf Videokassette und plötzlich ahnte ich von einer anderen, mir bis zu diesem Zeitpunkt fremden Welt. Mit etwa 14 Jahren schaltete ich jeden Mittwoch kurz nach Mitternacht ProSieben auf dem Fernseher in meinem Zimmer an, mit der allerniedrigsten Lautstärke – selbst für mich an der Scheibe klebend fast unhörbar – und verfolgte bei QUEER AS FOLK die Leben einer Gruppe schwuler Männer und lesbischer Frauen, begleitet durch die in jeder Episode obligatorisch stattfindenden, minutenlangen, expliziten Sexszenen. Mit acht Jahren sah ich mit meinem Bruder die BULLYPARADE auf ProSieben und lachte über tuntiges Gehabe, nur um durch mein lautes Lachen eine Distanz zu dem Bild im Fernseher aufzubauen und eine tiefe Angst in mir zu verdrängen: Ich bin nicht so wie die da! Mit 25 Jahren war ich im Kino bei CALL ME BY YOUR NAME und verließ danach wutentbrannt den Saal. Nicht viel später schrieb ich ein Essay mit dem Titel „Sehnsucht nach einem queeren Happy End“, doch noch vor Veröffentlichung verkrachte ich mich mit dem Magazin und der Text blieb unveröffentlicht. Heute – in etwa fünf Jahre später – will ich erneut einen Text mit diesem Titel schreiben – und stelle fest, dass sich seit meinem letzten Versuch zu diesem Thema etwas Grundlegendes verändert hat.

 

Während der letzten Jahre habe ich alle fünf bisher veröffentlichten Romane von Édouard Louis gelesen und hatte zum ersten Mal in meinem Leben endlich das Gefühl, der queeren, repräsentativen Stimme unserer Generation in der Literatur zu begegnen. Bis hierher war es ein langer, steiniger Weg. Eine mühevolle Suche in Film, Fernsehen und Literatur nach komplexen, vielschichtigen Charakteren mit queerem Kontext abseits der Klischees im Mainstream, um sich dann krampfhaft an den wenigen, vergrabenen Strohhalmen nicht-heterosexueller Repräsentation festklammern zu können. Und nun ist es möglich, dass ein junger, schwuler Schriftsteller mit seinen queeren, autobiographischen Romanen über die Gewalt seiner Kindheit im proletarischen Armutsmilieu eines provinziellen Frankreichs als gefeierter Bestsellerautor weltweit Beachtung und Würdigung erfährt. Édouard Louis ist wie ich männlich, schwul und 30 Jahre alt – womit unsere Überschneidungen bereits wieder enden. Louis schafft es jedoch in seinen Romanen mit der konzentrierten, höchst konkreten Darlegung seiner individuellen, spezifischen Biographie permanent auf etwas Größeres, Universelles zu verweisen – Menschen auf der ganzen Welt unterschiedlichster Geschlechter, Sexualitäten, Milieus, Altersgruppen finden sich in seinen Texten wieder. Endlich ist die Geschichte des schikanierten, schwulen Jungen nicht mehr nur ein exotischer Ausflug für interessierte Lesetourist:innen, die sich aus sicherer Distanz die Gefechte queerer Menschen ansehen wollen. Das ist mir neu: Der queere Mensch ist mit einem Male in der verkaufsstarken, preisgekrönten Literatur, nicht mehr nur das entfremdete, abgekapselte Andere oder die nebenbei erwähnte Fußnote. Der queere Mensch kann mit einem Male Stellvertreter:in für alle sein. Auf der anderen Seite erinnert mich das geschätzte Literaturwunder Édouard Louis erneut schmerzlich an die große Abwesenheit solcher mannigfaltigen, queeren Narrative während der prägenden Zeit meines Aufwachsens.

 

2003. Mit 10 Jahren, in der ersten Klassen des katholischen Privatgymnasiums in St. Pölten, ging ich an Faschingsdienstag verkleidet als der im Film von Meat Loaf dargestellte Eddy aus der ROCKY HORROR SHOW in die Schule. Ich hatte kürzlich begonnen Saxofon zu lernen, meine Schwester lieh mir ihren schwarzen Ledergürtel, von dem silberne Ketten hingen und der wohl eher an Shakira erinnerte. Sie besorgte mir auch eine schwarze Biker-Kappe, die wirkte als wäre sie frisch aus einem SM-Fetischladen. Doch ich war stolz in meinem Kostüm.  Wahrscheinlich wussten schon alle, dass ich schwul bin. Nur ich nicht. Ich wusste auch noch nichts von meiner Homosexualität als ich Jahre später in meiner Jugend aufmerksam die schwulen Sexszenen nachts auf ProSieben verfolgte. Ich wusste es nicht. Oder wollte es nicht wissen. Die Gesellschaft, die Historie der letzten Jahrhunderte, die homophobe, xenophobe, sexistische Narration in der Popkultur, all diese Dinge hinderten uns mit der brutalsten Vehemenz daran, uns selbst kennenzulernen und dieses Selbst in der Öffentlichkeit auszuleben. Es wurde uns immer schon klar gemacht – ob wir geliebt oder gehasst –, dass wir die Anderen sind. Man hatte eine Meinung zu uns. Wir wurden bewertet. Wir wurden im Verhältnis zur Norm und nicht als etwas Eigenständiges gelesen. Wir hatten nicht die Hoheit über unsere Narration inne. Und am Schlimmsten: Wir wurden „toleriert“.

 

2018. Ich war 25, geoutet, halbwegs im Frieden mit meiner Sexualität, un begann als Theaterregisseur gezielt queere Stücke zu inszenieren. Ich wollte nicht noch mehr Zeit verlieren. Als ich nach CALL ME BY YOUR NAME den Kinosaal verließ, dachte ich nur: Warum schon wieder diese Geschichte? Ein junger und ein etwas erfahrener Mann erleben in Italien der 1980er Jahre eine wunderschöne, intime Sommerromanze, nur um am Ende des Films erneut die Unmöglichkeit queerer Liebe zu verkünden: Wir werden nie ein Happy End bekommen!

Gegen Ende des Films deutet der Vater an, dass er früher selbst einmal schwul war, vielleicht immer noch ist, und dass er einen tiefen Schmerz empfinde, diesem Leben nie nachgegangen zu sein. Das bleibt so stehen. In der letzten Szene des Films sehen wir den frech schönen Timothée Chalamet mit dem Hörer des Haustelefons und hören die Stimme seines Liebhabers: Der etwas ältere Arnie Hammer erzählt, dass er eine Frau heiraten werde. Erneut muss ich wie schon so oft im meinem Leben erfahren, dass die Heterosexualität am Ende immer gewinnt. Dass queere Liebe selbst in der italienischen Villa der liberalen Film-Eltern nicht möglich ist. Nach dem Trennungstelefonat sehen wir in einer langen, schnittlosen Einstellung, untermalt von trauriger Musik, einen weinenden Timothée Chalamet. Der minutenlange Abspann setzt ein, die Aufnahme des weinenden Jungen läuft nebenher immer weiter. Und man denkt unweigerlich: Gott, ist dieser junge, schwule Mann schön, wenn er weint! Denn dafür sind wir Schwulen da: zum Ansehen und Unterhalten. Unser Leid wird ästhetisiert und fetischisiert, unerfüllte Liebe unter Männern ist Poesie. Das Leid der jungen, schwulen Männern ist ein Schönes. Mit meinen 25 Jahren wollte ich mich damals nicht erneut dieser Form homophober Gewalt in der Popkultur zur Verfügung stellen, ich wurde wütend, möglicherweise übertrieben pathetisch und stürmte aus dem Kinosaal.

 

Als Pubertierender war eine Zeitlang DRACULA von Bram Stoker mein Lieblingsroman. Ich interessierte mich schon als Kind mehr für die düsteren, verruchten, tragischen Existenzen. Bei den Vampiren in Stokers Literaturklassiker fand ich noch dazu Sinnlichkeit, verbotene, entfesselte Erotik, lustvolle, körperfokussierte Hingabe. Immer wieder griff ich zu diesem Roman aus 1897, während so gut wie alle meine Freundinnen für die neue Vampir-Buchserie TWILIGHT von Stephenie Meyer schwärmten. Die populäre Vampirwelt entspringt ursprünglich einer vergangenen, gesellschaftlichen Not unterdrückter, körperlicher Triebe. Vampire waren ein erotisches, entfesseltes Ventil gegen die Körperverleugnung und Prüderie der katholischen Kirche. Stephenie Meyer kehrte das jedoch um. In der modernen TWILIGHT-Saga wird einer gesamten Generation junger Menschen eine mormonische Erlösungsgeschichte verkauft: Vorehelicher Sex als lebensbedrohliche Gefahr, Lob der konventionellen Heirat und Elternschaft, Bestreben nach Transzendenz und unbedingte Bekämpfung des inneren, sündhaften Teufels. Amen. Ich fand das schon als ahnungsloser Jugendlicher furchtbar albern und reaktionär. Insgeheim wollte ich aber natürlich auch für mich selbst einen Jungen wie Edward und musste schon deshalb die Bücher lautstark verspotten, da ich ansonsten als Mädchen oder Schwuchtel abgestempelt worden wäre.

 

Beim Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen prägte mich die Homoerotik in so gut wie allen Büchern von Hermann Hesse, im Speziellen bei DEMIAN. Doch schnell wurden mir die von Hesse spärlich gesetzten Küsse und Zärtlichkeiten unter den Jungs zu wenig. Ich wollte mehr. Ich wollte in der Literatur eine Sprache, eine Grammatik der Queerness finden. Und ich wollte keine Geheimtipps unbekannter Nischen-Bücher, ich wollte Klassiker, Kanon, Standardwerke, Bestseller, Preisträger, ich wollte queere Weltliteratur! Dann habe ich den Roman DER FROMME TANZ von Klaus Mann gelesen, mit dem sich der Autor 1926 öffentlich als schwul outete. Das beeindruckte mich. Und ich wollte mehr Homosexualität in der klassischen Literatur entdecken. Bei seinem Vater Thomas Mann habe ich nach ca. 300 Seiten mit dem ZAUBERBERG aufgegeben, ich war enttäuscht, den Hinweis aus dem Internet, dass dieses Buch über weite Strecken die eigene, versteckte Homosexualität des Schriftstellers andeuten soll, empfand ich als Lüge. Dabei hatte ich so sehr gehofft, dass dieser gefeierte Nobelpreisträger Texte über seine schwulen Begierden geschrieben hatte. Wenn Nobelpreisträger Thomas Mann schwul gewesen wäre, dann hätte ich es vielleicht auch sein dürfen.

 

Die queere Literatur, die ich mir in den Jahren nach der Matura ab 18 ausgesucht habe, war für mich bestimmt die prägendste Orientierungshilfe. Darunter erinnere ich mich gerne an Bücher wie jene über Sexualität von Michel Foucault, DAS BILDNIS DES DORIAN GRAY von Oscar Wild, KLEINSTADTNOVELLE und  andere von dem kommunistischen, schwulen Ronald Schernikau. Dazu kommen JUST KIDS von Patti Smith, HOWL von Allen Ginsberg und seine Freundschaft mit Kerouac oder ORLANDO von Virginia Woolf, das mich kürzlich mit den progressiven Übersetzungen von Gender- und Transthemen erneut sehr bewegt hat. Doch all diese Beispiele sind nur verschwindend kleine Fragmente einer ausufernden Literaturgeschichte, die hauptsächlich andere – vorzugsweise normierte – Schwerpunkte verfolgte.

 

Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist es nicht sonderlich abwegig, dass ich mich im Fasching des Jahres 2003 als Charakter eines queeren Kultfilms aus 1975 verkleidete. In meiner Zeit gab es schließlich so gut wie keine zugänglichen Vorbilder. Keine Inspirationen. Keine Idole. Wir mussten suchen und graben, um nur die minimalsten Spurenelemente queerer Narrative zu entdecken. Und irgendwann später – sehr plötzlich – passierte unerwartet die stille Revolution.

 

2022. In meiner Kindheit und Jugend prägten mich im Fernsehen Serien wie HÖR MAL WER DA HÄMMERT, EINE SCHRECKLICH NETTE FAMILIE, SABRINA TOTAL VERHEXT, CHARMED, SEX AND THE CITY, SCRUBS, MALCOLM MITTENDRIN. Wenn man heute bei Streaming-Anbietern wie Neflix nachsieht, findet man seit 2019 unterschiedlichste Serien mit schwulen Jungs, lesbischen Mädchen, aber auch trans-, bi-, pan- und asexuellen Protagonist:innen. Plötzlich gibt es ein schillerndes, vielfältiges Angebot. Und 2022 habe ich aus Langweile innerhalb von zwei Tagen die frisch erschiene Netflix-Serie HEARTSTOPPER angesehen.

 

HEARTSTOPPER. Boy meets boy. Auf der einen Seite der schwule, sensible und unsichere Außenseiter, der mit seiner Clique aus Weirdos am Rande des populären Highschool-Lebens unmerklich nebenher existieren darf. Auf der anderen Seite gibt es der beliebte Footballstar der Schule, der mit der Männlichkeit in seinem Auftreten von den Mädchen umschwärmt wird. Durch einen Zufall kommt es dazu, dass die beiden ungleichen Jungs in einer Klasse Sitznachbarn werden. Zuerst befreunden sich die beiden – allen dogmatischen Regeln der Highschool-Hierarchien zum Trotze. Irgendwann kommt der erste Kuss, dann der zweite. Irgendwann das Geständnis beider, den jeweils anderen gut zu finden. Irgendwann outet sich der Footballstar bei seiner Mutter als bisexuell. Irgendwann entscheiden die beiden, dass sie offiziell ein Paar sein wollen. Die zweite Staffel wurde wegen des einschlagenden Erfolgs sofort bestellt.

Bei Netflix wird die vertraute Narration zu einem modernen Märchen. Es gibt viel rosa und pastell. Es gibt einen niedlichen Soundtrack. Es gibt zahlreiche Milchshakes. Es gibt unverschämt bezauberndes Lächeln. Immer wieder bahnen sich für diese Art von Erzählung übliche Konflikte an, die sich aber fast in allen Fällen sofort wieder in Luft auflösen. Wenn einer dieser Konflikte dennoch einmal zu Tage treten sollte, dauert es nicht lange, bis alles wieder überwunden ist. Das aufbrausende Stürmen und Drängen vom Erleben der ersten schwulen Liebe in der Highschool transformiert sich in eine kitschige, in höchstem Maße harmonische Zuckerwelt. HEARTSTOPPER scheint es keine Sekunde lang darum zu gehen, eine gegenwärtige Lebensrealität von Homosexuellen an den US-Schulen abzubilden, vielmehr versucht die Serie ihre eigene Realität zu erschaffen. Und trotzdem werde das Gefühl nicht los, dass diese Serie das radikalste und progressivste queere Narrativ der heutigen Zeit darstellt, das weit und breit zu finden ist. Die Heranwachsenden von heute bekommen endlich auch das queere Happy End, das ich während meiner Jugend so sehnsüchtig erhoffte und nicht bekam. Ich gehe über vor Freude, wenn ich an die Scharen von Jugendlichen denke, die solche Serien als etwas Selbstverständliches erleben und ihre Lebensweise davon inspirieren lassen. Was wäre wohl mit uns passiert, hätte es solche Geschichten schon vor zehn, 50 oder 100 Jahren gegeben anstelle von Winnetouch oder Chandlers „Vater“ in FRIENDS? Wie wären wir dann heute? Wo wären wir heute?

 

Während des Kindheits- und Jugendalters sind unsere Gehirne wie aus warmer Butter, alles kerbt sich darin ein und hinterlässt Spuren. Ich trage all die Charaktere aus menschlichen Erzählungen der letzten Jahrzehnte, auch Jahrhunderte und Jahrtausende, tief in meinem Körper mit mir umher. Als Jugendlicher wollte ich mit allen Mitteln so begabt sein wie Rory Gilmore und leidenschaftlich einen Jungen wie den rebellischen Jess küssen, wollte am Ende auch eine Frau wie Rachel für mich gewinnen. Ich wollte NICHT so sein wie der rosarote Winnetouch, nicht „metrosexuell“ wie David Beckham, keine schlechte Pointe aus SOUTH PARK – und vor allem wollte ich in meinem eigenen Leben nicht der nebensächliche Side-Kick sein, der bloß gut für eine witzige Pointe oder eine tröstende Schulter ist, sondern selbst der schillernde Protagonist meiner Geschichte. Wir alle haben unsere eigene Geschichte, wir alle verdienen es, unsere Geschichte auch zu erzählen – oder uns in den Geschichten von anderen wiederfinden zu können. Wir alle verdienen es ab und zu verzaubert zu werden und ein Gefühl der Hoffnung vermittelt zu bekommen, dass es auch für uns – egal, wer wir sind, egal, wen wir lieben, wie wir aussehen, wie wir sprechen, wieviel Geld wir haben, wie gebildet wird sind – irgendwann gut ausgehen könnte.

 

In einigen Tagen werde ich 31 Jahre alt. Wenn ich die heutigen Coming-of-Age-Serien mit deren unverkrampfter Selbstverständlichkeit in Bezug auf die queeren Narrative beobachte, so tue ich das mittlerweile meist nur noch als Tourist. Ich bin tief beeindruckt von der heutigen Jugend. Gleichzeitig schmerzt es mich, dass ich vor wenigen Jahren noch oftmals falsch, alleine auf der Welt und im Stich gelassen fühlte. Im Kindesalter die ROCKY HORROR PICTURE SHOW gesehen zu haben, hat das damals auf eine Art mein Leben gerettet. Heute bin ich beinahe 31 und habe es irgendwie hinbekommen, mir selbst mein queeres Happy End zu verschaffen, ich habe selbst die schmerzhaften und kräftezehrenden Versuche unternommen, mein eigenes queeres Vorbild zu sein – und unsere Welt mit vielfältigsten, queeren Narrativen zu bereichern. Ich habe als Theaterregisseur zwei Romane von Édouard Louis, DIE BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT von Fassbinder oder die Gender-Komödie WAS IHR WOLLT von der queeren Stimme im elisabethanischen England des 16. Jahrhunderts, William Shakespeare, auf die Bühne gebracht. Ich führte Regie bei DIE MITTE DER WELT, KLEINSTADTNOVELLE, JUST KIDS und DEMIAN. Als Autor habe ich den queeren Roman DIE ABSCHAFFUNG DER WOCHENTAGE (Residenz Verlag, 2022) veröffentlicht, über einen schwulen Mann, der nach der Trennung von seinem Partner in eine schwere Depression stürzt. Als Dramatiker habe ich mit meiner queer-feministischen Komödie EFFI, ACH, EFFI BRIEST versucht, den historischen patriarchalen Sexismus in Fontanes Literaturklassiker umzudrehen und zu überschreiben. Ich habe mit Schauspieler:innen Charaktere für die Bühne entwickelt, die sich mit einem nicht-normiertem Körper bewegen, habe die schillernde Polit-Tunte wie die vorlaute, abenteuerliche Zicke inszeniert. Und ich habe lange noch nicht damit aufgehört, als Künstler die „schwule Schublade“ zu bedienen und auszureizen – vor der ich kurz nach meinem Studium gewarnt wurde, ich müsse aufpassen nicht in diese Einbahnstraße zu geraten.

 

Als Gesellschaft haben wir ohne Zweifel noch große Aufgaben zu bewältigen. Doch angesichts neuer Vorbilder, neuer queerer Narrative im Mainstream, ist eines unverrückbar klar: Wir queeren Menschen werden nie wieder die  Gewalt einer herrschenden Normgesellschaft über uns ergehen lassen! Wir queeren Menschen sind jetzt hier und wir sind sichtbar und wir wollen vorkommen, mitspielen, gestalten, wir wollen uns der Welt zumuten! Wir queeren Menschen haben es satt, als problematisierte Stichwortgeber:innen in kleinen Nebenrollen am Rande der Gesellschaft lustige Tänze aufzuführen! Wir sind komplexe Charaktere mit komplexen Geschichten! Uns gibt es überall – zu jeder zeitlichen Epoche, in den unterschiedlichsten Formen – mit Stolz, Würde, Mut und eleganter Aufdringlichkeit! Wir scheitern und triumphieren, wir führen erfüllte wie prekäre Liebesbeziehungen und wir verdienen genauso wie Julia Roberts oder Richard Gere auch ab und zu einmal ein Frieden spendendes Happy End! Denn wir queeren Menschen sind mehr als nur Randbemerkungen – wir sind Protagonist:innen!

Seine ganze Kindheit und Jugend über, suchte der schwule Autor und Regisseur Moritz Franz Beichl vergeblich nach dem queeren Happy End. Geprägt von der wüsten Brache an Vorbildern in den seltenen queeren Narrativen der Popkultur der 1990er und 2000er Jahre, stellt er heute fest: Den Kids heutzutage werden Möglichkeiten queerer Existenzen vorgelebt, von denen wir vor einigen Jahren nur träumen konnten.

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